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Amerikaner zwischen Schul- und Werkbank

Wirtschaftswissenschaftler Johann Fortwengel untersucht, warum das deutsche Berufsbildungsmodell aus Theorie und Praxis als Vorbild für die USA taugt

02.03.2015

Exportschlager Ausbildungssystem? In den USA setzen immer mehr Unternehmen auf den Mix aus Praxis und Theorie.

Exportschlager Ausbildungssystem? In den USA setzen immer mehr Unternehmen auf den Mix aus Praxis und Theorie.
Bildquelle: © mariusz szczygieł - Fotolia.com

Johann Fortwengel forscht zum amerikanischen Ausbildungsmarkt.

Johann Fortwengel forscht zum amerikanischen Ausbildungsmarkt.
Bildquelle: Privat

BMW, Siemens, Volkswagen und Bosch tun es bereits: An ihren amerikanischen Standorten bilden sie ihren Nachwuchs nach deutschem Muster aus. Mit der dualen Ausbildung aus Theorie und Praxis wollen die Unternehmen dem Fachkräftemangel im produzierenden Gewerbe begegnen. Johann Fortwengel vom Institut für Management am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität hat die Entwicklung am amerikanischen Ausbildungsmarkt untersucht und kennt die Schwierigkeiten, das deutsche System nach Amerika zu exportieren.

Die Situation auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt habe sich in den vergangenen Jahren stark verändert, erklärt Johann Fortwengel: „Der Trend führt weg von der Finanzindustrie, zurück zum produzierenden Gewerbe.“ So komme es, dass trotz hoher Arbeitslosigkeitsquote gut ausgebildete Facharbeiter in bestimmten Bereichen fehlen. Um dem zu begegnen, bilden Unternehmen in den USA seit einigen Jahren zunehmend selbst aus. „Deutsche Unternehmen sind mit ihren Niederlassungen in den USA dafür die treibende Kraft“, sagt Fortwengel, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Jörg Sydow, Professor für Unternehmenskooperation an der Freien Universität. In seiner Dissertation am Graduiertenkolleg „Pfade organisatorische Prozesse“ hat Fortwengel untersucht, wie Industrieunternehmen das duale System in Amerika umsetzen – und wo es Probleme gibt.

Skepsis bei den Jungen und Lob von Obama

Noch seien es wenige Firmen, die das deutsche System von Theorie und Praxis in der Ausbildung umsetzen, sagt der Wissenschaftler: „Das liegt auch daran, dass die duale Ausbildung in den USA im Vergleich zur universitären keinen guten Ruf hat." Die meisten jungen Amerikaner ziehe es an die Universitäten, alternative Berufsbildungsmodelle gebe es kaum. Und das, obwohl ein Studium in den Vereinigten Staaten mehrere Zehntausend Dollar kosten kann. „Die Unternehmen arbeiten jetzt vor allem daran, den Ruf der internen Ausbildung zu verbessern“, sagt Fortwengel. Wer im Unternehmen lernt, so die Hoffnung, bindet sich auch beruflich länger. So sollen qualifizierte Kräfte gehalten werden.

In Wirtschaft und Politik kommt das duale System gut an. Prominente Unterstützung bekommen die Firmen, die selbst ausbilden, sogar aus dem Weißen Haus: Präsident Barack Obama hat das Engagement der deutschen Unternehmen schon mehrfach gelobt.

Trotz viel guten Willens seitens der Arbeitgeber ließe sich das deutsche Ausbildungssystem nicht eins zu eins auf die USA übertragen, sagt Fortwengel. Eine Kooperationskultur zwischen Berufsschulen und Unternehmen, wie es sie in Deutschland gibt, müsse sich jenseits des Atlantiks erst noch entwickeln. Außerdem fehlten einheitliche Standards, die die Qualität der Ausbildung garantieren. „In Deutschland bestehen Handwerks-, Industrie- und Handelskammern seit Jahrzehnten und sind etabliert. Das ist in den USA nicht so“, sagt Fortwengel.

Ältere Azubis und Ausbildungsinseln

Auch deshalb packen die Unternehmen die Sache selbst an und bemühen sich um Kooperationen mit ortsansässigen Bildungseinrichtungen, den sogenannten Community Colleges, in denen der theoretische Teil der Ausbildung stattfindet. Amerikanische Schüler müssen in der Regel die Highschool erfolgreich abgeschlossen haben, bevor sie eine Ausbildung beginnen können. In Deutschland können Jugendliche in einer Berufsfachschule schon während der Schulzeit eine Berufsausbildung machen.

Nicht zuletzt deshalb sind viele der Azubis in den USA bei Ausbildungsbeginn einige Jahre älter als ihre deutschen Kollegen. Manche haben vorher schon ein Studium abgeschlossen. „In den USA wird die duale Ausbildung eher als Weiterbildung wahrgenommen“, sagt Fortwengel. Sein Expertenwissen zum Thema ist gefragt, etwa beim „American Institute for Contemporary German Studies“ (AICGS) – einem amerikanischen Think Tank zur Förderung des transatlantischen Dialogs. Im Herbst vergangenen Jahres war Fortwengel mit einer Gruppe des AICGS auf einer Forschungsreise durch fünf europäische Länder, um sich verschiedene Berufsbildungsmodelle anzusehen. Das Interesse am deutschen Modell sei besonders groß gewesen, sagt der Wissenschaftler.

Vorsichtig optimistisch

Ob sich das duale System in den USA durchsetzt? Fortwengels Prognose ist vorsichtig optimistisch. Zwar werde die duale Ausbildung in den USA mittelfristig eine Rolle spielen, aber einen vergleichbaren Stellenwert wie in Deutschland werde das duale System wohl nicht erlangen. „Zumindest nicht im ganzen Land", glaubt Fortwengel. Eher werde es kleine Inseln geben, auf denen sich das System aus Theorie und Praxis etablieren wird: „Zum Beispiel in Wisconsin oder North Carolina, wo es viel produzierendes Gewerbe und starke Einflüsse aus Deutschland gibt, weil dort viele deutsche Unternehmen angesiedelt gibt.“ Die in manchen Teilen noch verbreitete amerikanische Zurückhaltung hält allerdings deutsche Unternehmen nicht ab: Sie wollen künftig nicht nur ihre Ware, sondern auch das deutsche Ausbildungssystem zu einem Exportschlager machen.