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Polizeifilme, DDR-Fotos und Regionaldemokratien

„Kontinuitäten und Brüche“ war das Thema des sechsten Sommer-Workshops des Berlin Program for Advanced German and European Studies an der Freien Universität Berlin

20.07.2017

Aus drei Jahrgängen: Die gegenwärtige Berlin Program-Stipendiatin Dr. Candice Hamelin (links) sowie die Alumni Dr. Sara Hall und Dr. Jeremy DeWaal erforschen die Kunst und die Geschichte Deutschlands.

Aus drei Jahrgängen: Die gegenwärtige Berlin Program-Stipendiatin Dr. Candice Hamelin (links) sowie die Alumni Dr. Sara Hall und Dr. Jeremy DeWaal erforschen die Kunst und die Geschichte Deutschlands.
Bildquelle: Jonas Huggins

Für ein Jahr nach Berlin kommen und Deutschland erforschen: Schon seit rund 30 Jahren können junge Menschen aus Nordamerika während oder nach ihrer Dissertation mit einem Stipendium über das Berlin Program for Advanced German and European Studies ein Forschungsjahr in Berlin verbringen. Das Programm ist eine Kooperation der Freien Universität mit der nordamerikanischen German Studies Association. Zum sechsten Jahr in Folge trafen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Stipendiatinnen und Stipendiaten sowie Ehemaligen für einen dreitägigen Sommer-Workshop an der Freien Universität und stellten einander ihre Arbeit zu den verschiedensten Themen der Sozial- und Geisteswissenschaften vor. Sie einte eine Perspektive: der Blick von außerhalb auf Deutschlands Kultur, Geschichte und Politik.

Candice Hamelin war beim Sommer-Workshop Moderatorin eines Podiums, das sich mit kommunistischen Narrativen in Deutschland beschäftigte. Die Kunsthistorikerin hatte vor einem Jahr ihre Promotion über Fotografie in Ostdeutschland abgeschlossen. Ihre Faszination für die Fotografie der DDR sei durch eine Ausstellung mit einfühlsamen Porträts von Punks geweckt worden, die die Künstlerin Helga Paris in den Achtzigerjahren in ihrer Wohnung ablichtete. Während ihres Forschungsaufenthalts untersucht sie, wie und warum die Grenzen zwischen ostdeutscher Kunstfotografie und staatlicher Kulturpolitik in diesem Zeitraum zu verschwinden begannen.

Nun ist sie eine von elf Stipendiatinnen und Stipendiaten des 31. Jahrgangs, die seit vergangenem Herbst in Berlin forschen – im Rahmen des Programms ist über die Jahre eine große Zahl von Publikationen entstanden. „Das Programm bietet eine unschätzbare Unterstützung“, sagt Candice Hamelin. „Ich habe hier ein sehr interessantes und produktives Jahr verbracht und bin für die Förderung sehr dankbar.“

Die Teilnehmer des Berlin Programs trafen sich drei Tage lang, um ihre Forschung gegenseitig zu kommentieren.

Die Teilnehmer des Berlin Programs trafen sich drei Tage lang, um ihre Forschung gegenseitig zu kommentieren.
Bildquelle: Jonas Huggins

Neue Energie für die Forschung schöpfen

Für den Sommer-Workshop sind auch viele Alumni des Förderprogramms nach Berlin gereist. Sara Hall war zum ersten Mal 1998 als Stipendiatin des Berlin Program for Advanced German and European Studies in Berlin – und reiste seitdem immer wieder her. In diesem Jahr moderierte sie ein Podium zum Thema Literatur und Kunst. Sie selbst unterrichtet Germanistik an der University of Illinois in Chicago. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich derzeit mit Polizeifilmen aus der Weimarer Republik. Die Berliner Polizei hatte damals am Alexanderplatz ein eigenes Studio eingerichtet und Filme zur Spurensicherung, für Verkehrstrainings und zur Selbstdarstellung produziert. Sara Hall interessiert, wie die Ästhetik dieser Bilder den Kinofilm jener Zeit beeinflusste. Immer wieder nach Berlin zurückzukehren, sei für die Arbeit sehr motivierend. „Ich fühle mich hier mit einer interdisziplinären Gemeinschaft stark verbunden“, sagt die Filmwissenschaftlerin. „Wenn man in seinem eigenen Arbeitsumfeld steckt, kann man das intellektuelle Leben Berlins schnell aus den Augen verlieren. Doch wenn man zurückkommt und mit den vielen verschiedenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern spricht, schöpft man bald neue Energie.“

Continuities and Ruptures – Kontinuitäten und Brüche – seien ein breites Thema, sagt Jeremy DeWaal, der im Programmkomitee sitzt. „In Deutschland hat das Thema aufgrund der Geschichte aber eine besondere Bedeutung“, sagt er. Gerade die Kontinuitäten, die zum Nationalsozialismus geführt, und diejenigen, die danach fortbestanden hätten, seien politisch brisant. Auf dem Sommer-Workshop wolle man diskutieren, wie sinnvoll das Denken in Epochen sei. „Kontinuitäten und Brüche sind notwendig, um die Geschichte zu verstehen, können es aber erschweren, das richtige Maß an Differenzierung zu finden“, sagt der promovierte Historiker.

Demokratie und Heimatgefühle

Er selbst kam vor drei Jahren als Stipendiat des Programms nach Berlin. Heute ist er Alexander-von-Humboldt-Fellow am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität. Dort untersucht er, wie Heimatgefühle in der Nachkriegszeit mit Demokratie in Verbindung gebracht wurden. Die Menschen hätten ihre regionalen Identitäten auf jeweils eigene Weise mit der demokratischen Ordnung verbunden, erläutert er, sodass etwa Ideen wie „Kölner Demokratie“, „schwäbisch-alemannische Demokratie“ und „hanseatische Demokratie“ entstanden seien.

Für das Gefühl der Heimat interessiert sich DeWaal unter anderem, weil er seine persönliche Heimat nicht recht verorten kann, da er wie viele andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon an vielen Stellen der Welt gearbeitet hat. Da sei der Sommer-Workshop des Berlin Program eine willkommene Konstante.

Weitere Informationen

Berlin Program for Advanced German and European Studies

Details zum Programm, Bewerbungsverfahren und den Stipendiatinnen und Stipendiaten finden Sie unter: www.fu-berlin.de/bprogram

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