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Masse statt Menschen

Wissenschaftlerinnen der Freien Universität untersuchen die visuelle Darstellung von Flucht und Migration in deutschen Medien

20.12.2016

Margreth Lünenborg und Tanja Maier von der Freien Universität haben untersucht, wie das Thema „Migration“ in deutschen Printmedien bebildert wird.

Margreth Lünenborg und Tanja Maier von der Freien Universität haben untersucht, wie das Thema „Migration“ in deutschen Printmedien bebildert wird.
Bildquelle: Manuel Krane

Bilder bewegen Menschen – unmittelbar, intensiv und nachhaltig. Sie sprechen Emotionen an und berühren. In der medialen Berichterstattung kommt ihnen dabei eine besondere Bedeutung zu, weil sie von Menschen wahrgenommen werden, noch bevor der dazugehörige Text gelesen wird. Vor allem bei Flüchtlingsthemen spielen Bilder eine besondere Rolle, fanden Wissenschaftlerinnen der Freien Universität heraus. Die Journalistik-Professorin Margreth Lünenborg nahm dafür gemeinsam mit der Kommunikationswissenschaftlerin Tanja Maier die visuelle Darstellung von Migration in journalistischen Medien unter die Lupe – am Beispiel der Tages- und Wochenpresse.

Untersucht wurde dafür jeweils die Bebilderung von Berichten über den Integrationsgipfel, von der Rede des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff am Tag der Deutschen Einheit 2010, deren Zitat „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“ große Aufmerksamkeit erregte, von Bootsunglücken vor der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa und vor der griechischen Küste sowie von der „Willkommenskultur“ in Deutschland im September 2015.

Das Ergebnis der Wissenschaftlerinnen: Auffällig häufig würden Migranten nicht als Individuen dargestellt, sondern als anonyme Gruppe, sagt Margreth Lünenborg. Dies geschehe durch die Abbildung von Massen, in denen Menschen nicht als Persönlichkeiten sichtbar würden. Flüchtlinge würden dabei in Kontrast zu Deutschen gestellt. „Othering“ wird dieses Verfahren in der Wissenschaft genannt. „Die ‚Anderen‘ werden gezeigt, um eine Verständigung darüber herzustellen, was Deutschsein eigentlich ausmacht“, sagt Margreth Lünenborg.

Flüchtlinge als bedrohliche Masse

Dass Flüchtlinge in der Berichterstattung oft als eine entindividualisierte Masse dargestellt würden, sei einerseits der Situation geschuldet, dass im September 2015 tatsächlich viele Flüchtlinge nach Deutschland gekommen seien, sagt die Wissenschaftlerin. „Wir wissen aber auch, dass es geradezu erzeugte Momente von Menschenmengen gibt, die bedrohlich wirken können.“ Als Beispiel nennt sie Bilder, auf denen Flüchtlinge zu sehen sind, die eine enge Sperre in Passau durchqueren. „Hier greift eine polizeiliche Maßnahme mit einer visuellen Inszenierung durch Fotografen ineinander“, sagt die Wissenschaftlerin. Die Abbildung der sich stauenden Menschen vor der Sperre erzeuge den Eindruck, dass es sich bei Flüchtlingen um eine „Masse“ handele. Solche Bilder könnten die öffentliche Wahrnehmung von Migranten beeinflussen. „In den Massenbildern werden keine Subjekte sichtbar, das erzeugt das Gefühl der Bedrohung und verhindert Identifikation oder Teilhabe.“

Es gibt Bilder, die in den Köpfen hängen bleiben. Die Zeichnung vom übervollen Boot etwa, 1991 Titel des Nachrichtenmagazins Der Spiegel anlässlich der Ankunft von Flüchtlingen aus Rumänien und Jugoslawien, sei mit der Zeit zu einem Kollektivsymbol geworden, dessen sich Medien in vielfältiger Weise bedienen. „Diese Metapher, die durch die Flüchtlingsschiffe im Mittelmeer zu einem realen Bild geworden ist, wurde durch eine Berichterstattung erzeugt, die immer wieder darauf zurückgegriffen hat“, sagt Margreth Lünenborg. Selbst bei Artikeln, in denen eigentlich positiv von der Ankunft vieler Flüchtlinge am Münchener Hauptbahnhof im September 2015 berichtet werde, finde sich in der visuellen Darstellung eine zweigeteilte Wirklichkeit: Bildern von deutschen Flüchtlingshelfern stünden Bilder von ankommenden Menschen gegenüber. Nur selten werde die Begegnung beider Gruppen gezeigt. „Flüchtlinge und Flüchtlingshelfer sind als getrennte Menschenblöcke erkennbar“, sagt Lünenborg, „somit wird selbst in den positiv konnotierten Bildern ein Unterschied zwischen den Menschengruppen abgebildet und weniger deren Zusammentreffen sichtbar gemacht.“

Positive Beispiele

Trotzdem sieht die Wissenschaftlerin Tanja Maier in der Berichterstattung auch positive Entwicklungen. Man habe etwa in der Süddeutschen Zeitung sehen können, wie Zeitungsmacher kreativ andere Darstellungsformen entwickelt hätten. Dazu gehörten Bilder, die Geflüchtete als Menschen zeigten, die aktiv für ihre Rechte einstünden, auch gezeichnete Porträts, auf denen geflüchtete Menschen als individuelle Persönlichkeiten sichtbar werden, seien als Beispiele zu nennen. „Es macht in diesem Kontext auch einen Unterschied für die Bildbedeutung, ob beispielsweise der Name der dargestellten Person genannt wird, oder ob es einfach nur ‚der Flüchtling‘ heißt“, sagt Tanja Maier.

Margreth Lünenborg betont, dass die Wirkung der Bilder enorm sei und unabhängig davon funktioniere, ob die Darstellung von Flüchtlingen als Masse von den zuständigen Bildredakteuren beabsichtigt sei. „Ich gehe nicht davon aus, dass das alles in böser Absicht entsteht, es herrscht da oft auch ein großer zeitlicher Druck“, sagt Lünenborg. „Außerdem gibt es kulturelle Konventionen, die von Fotografen vielfach gar nicht reflektiert werden“, erklärt Tanja Maier. Dabei habe der Kontakt mit Redakteuren gezeigt, dass diese durchaus mehr über die Wirkung bestimmter Bebilderungen ihrer Texte wissen wollten. „Es gibt ein großes Interesse von journalistischer Seite, sich damit auseinanderzusetzen.“