Springe direkt zu Inhalt

„Wir dürfen nicht in depressiven Weltbildern verharren“

Vor dem UN-Klimagipfel in New York: Politikwissenschaftler Martin Jänicke im campus.leben-Interview über das Prinzip der Mehrebenenpolitik bei Klimaschutz-Verhandlungen

22.09.2014

Im Mehrebenensystem der Klimapolitik sind dezentrale Lösungen gefragt.

Im Mehrebenensystem der Klimapolitik sind dezentrale Lösungen gefragt.
Bildquelle: flickr

Internationale Verhandlungen zum Klimaschutz sind langwierig. Immer wieder scheitern sie am Veto einflussreicher Nationalstaaten. Neben den globalen Vertragslösungen hat sich in der Klimapolitik in den letzten Jahren ein sogenanntes Mehrebenen-System entwickelt, bei dem verschiedene Bereiche – Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft – miteinander vernetzt sind. Über die Chancen und Herausforderungen, für die die Mehrebenen-Governance in der Klimapolitik sorgt, sowie über deren Mechanismen diskutierten kürzlich Vertreter aus Wissenschaft und Praxis im Rahmen einer gemeinsamen Konferenz des Forschungszentrums für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin (FFU) und des Potsdamer Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS). Campus.leben sprach mit Martin Jänicke, Gründungsdirektor des FFU, über die Ergebnisse.

Herr Professor Jänicke, viele Köche verderben den Brei, heißt es im Volksmund. Warum plädieren Sie beim Klimaschutz für eine globale Mehrebenenpolitik, also eine Politik, die viele Bereiche und neben der nationalen auch die lokale und regionale Ebene einbezieht?

Lange Zeit war es tatsächlich üblich zu sagen: Klimaschutz ist ein globales Problem und erfordert globale Lösungen in Form von rechtsverbindlichen Abkommen. Das ist auch weiterhin richtig, stößt aber auf vielfache Hindernisse. Vor allem in den letzten fünf Jahren hat sich gezeigt, dass Staaten, Regionen und Städte oft auch ohne rechtliche Verpflichtung sehr anspruchsvolle Klimaschutz-Maßnahmen ergreifen und so auch andere Länder beeinflussen.

Was unterscheidet Maßnahmen der Mehrebenpolitik von globalen Vertragslösungen?

Länder, Regionen oder Städte, die auf energieeffiziente Technik und erneuerbare Energien setzen, tun dies freiwillig. Das ist neu und durchaus bemerkenswert! Wenn heute 144 Länder ein nationales Ziel für den Ausbau erneuerbarer Energien haben, ist das ein Ergebnis, das ohne rechtliche Verpflichtung zustande gekommen ist. Das gilt auch für die Verdopplung der Zahl der Länder, die in den letzten Jahren klimarelevante Gesetze eingeführt haben. Dieselben Länder aber – beispielsweise China und Indien – leisten bei globalen Klimaverhandlungen oft Widerstand gegen völkerrechtlich verbindliche Verpflichtungen.

Wie lässt sich diese Freiwilligkeit erklären?

Es gibt drei Gründe dafür: Zum einen bringen Klimaschutzmaßnahmen wirtschaftliche Vorteile. Sie haben aber auch nicht-ökonomische Vorzüge: In China beispielsweise sind die extreme Luftverschmutzung, aber auch der Kühlwasserverbrauch der Kohlekraftwerke ein starkes Motiv für den Klimaschutz. Ein dritter Grund ist die Teilnahme an einem globalen Lernprozess. Länder übernehmen von Pionierländern erfolgreiche Lösungen, die dann sozusagen zum globalen Standard der Politik gehören. Deutschland hat an diesem Prozess wesentlichen Anteil, weil es als Vorbild oft nachgeahmt worden ist.

Welche Ergebnisse hat die Potsdamer Tagung gebracht, und was fordern Sie von der Politik?

Zunächst einmal muss man die positiven Entwicklungen der globalen Mehrebenenpolitik anerkennen. Wir werden das drängende Klimaproblem nicht lösen, wenn wir in depressiven Weltbildern verharren. Die Konferenz hat ein starkes Signal gegeben, dass wir es nicht bei der Problemanalyse belassen dürfen. Wenn es offensichtlich so ist, dass die stärksten Verbesserungen im Klimaschutz durch das Lernen von Vorbildern eingeleitet werden – sogenanntes „lesson-drawing“ – dann müssen diese Vorreiterrollen bestärkt und ausgebaut werden. Außerdem müssen Kommunikationskanäle und Netzwerke verbessert werden, über die das Wissen über erfolgreiche Lösungen verbreitet werden kann. Und schließlich: Wo Klimapolitik bisher erfolgreich war, beruhte sie zumeist auf einer Zusammenarbeit von staatlichen und wirtschaftlichen Akteuren. Man hat es verstanden, die wirtschaftlichen Interessen auf allen Ebenen zu mobilisieren und für die Klimapolitik nutzbar zu machen. Für den nötigen Wertewandel muss nun die Zivilgesellschaft gestärkt werden.

Die Fragen stellte Annika Middeldorf

Weitere Informationen

Informationen und Termine

Das Forschungszentrum für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin organisiert im Rahmen der Helmholtz-Allianz „ENERGY-TRANS“ eine Fachkonferenz zum Thema „Herausforderungen an die Mehrebenen-Governance der deutschen Energiewende“

Zeit und Ort

Hier kommen Sie zum Expertendienst der Freien Universität Berlin zum Klimagipfel der Vereinten Nationen.