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Debatte um Gefahren für die Forschungsfreiheit

Internationale Wissenschaftler beschäftigten sich anlässlich einer Tagung mit dem Einfluss von Politik und Wirtschaft auf Wissenschaft und Forschung

20.10.2011

Wie frei sind Wissenschaftler in ihrer Forschung, welche Wege stehen ihnen offen? Mit diesen grundsätzlichen Fragen beschäftigten sich die 155 Teilnehmer der Tagung "Planning Research for the Future"? an der Freien Universität.

Wie frei sind Wissenschaftler in ihrer Forschung, welche Wege stehen ihnen offen? Mit diesen grundsätzlichen Fragen beschäftigten sich die 155 Teilnehmer der Tagung "Planning Research for the Future"? an der Freien Universität.
Bildquelle: Fotolia

Prof. Dr. Carsten Dreher, Direktor des Center for Cluster Development der Freien Universität, hat die Tagung organisiert.

Prof. Dr. Carsten Dreher, Direktor des Center for Cluster Development der Freien Universität, hat die Tagung organisiert.
Bildquelle: Christian Flemming

Nachwuchswissenschaftlerinnen im Gespräch: Dorit Modersitzki (CCD), Uta Brunner (Uni Düsseldorf), Claudia Arntz (Uni Köln), Erle Wright (Oxford Research)

Nachwuchswissenschaftlerinnen im Gespräch: Dorit Modersitzki (CCD), Uta Brunner (Uni Düsseldorf), Claudia Arntz (Uni Köln), Erle Wright (Oxford Research)
Bildquelle: Christian Flemming

Dr. William Omar Contreras Lopez forscht als Neurochirurg an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Er nahm an der Tagung "Planning Research for the Future?" teil.

Dr. William Omar Contreras Lopez forscht als Neurochirurg an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Er nahm an der Tagung "Planning Research for the Future?" teil.
Bildquelle: Christian Flemming

Wer bestimmt künftig, was geforscht wird: Die Politik, die Wirtschaft oder die Wissenschaft? Wird der Druck, den Politik und Gesellschaft auf die Wissenschaft ausüben, zur Herausbildung gezielter Themenschwerpunkte führen – und damit die Freiheit der Forschung einschränken? Über Möglichkeiten und Grenzen der Forschungsplanung in den Wissenschaften diskutierten die 155 Teilnehmer der internationalen Tagung „Planning Research for the Future?“, die am vergangenen Wochenende an der Freien Universität stattfand.

Die Stimmung unter den Wissenschaftlern war angeheizt: Wenige Tage vor der vom Center for Cluster Development (CCD) der Freien Universität organisierten Tagung hatte die Europäische Kommission die Mitteilung „Wachstum und Beschäftigung stützen – eine Agenda für die Modernisierung von Europas Hochschulen“ veröffentlicht. Darin werden Universitäten aufgefordert, die Zahl der Hochschulabgänger und „die Qualität der Humankapitalentwicklung arbeitsmarktgerecht“ zu steigern und die Bildung zu internationalisieren.

Universitäten werden ausschließlich als Zulieferer von qualifiziertem Personal betrachtet

Für Carsten Dreher, Professor für Innovationsmanagement am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität und Direktor des CCD, kommt das einer Kampfansage gleich: „Damit weist die Kommission den Universitäten eine Rolle ausschließlich als Ausbilder und Zulieferer von qualifiziertem Personal für Unternehmen zu“, kritisiert der Wirtschaftswissenschaftler. „Universitäten als eigenständig forschende Einrichtungen kommen in dem Papier so gut wie nicht mehr vor.“ Die Tagung in Dahlem wollte Dreher daher als Beitrag verstanden wissen, der politischen Debatte mit Ideen aus der Wissenschaft zu begegnen. Unter den 155 Teilnehmern, von denen fast ein Drittel aus dem Ausland kam, waren unter anderem Arthur Bienenstock, persönlicher Berater in Wissenschaftsfragen von US-Präsident Barack Obama, und Xiaonan Cao von der Weltbank.

Deutsche und europäische Perspektiven

Im ersten Teil der Tagung standen die deutsche und europäische Perspektive im Fokus: Welche Anforderungen müssen Universitäten gegenüber ihren Studierenden und Nachwuchswissenschaftlern erfüllen? Welche Rolle können Stiftungen spielen? Beeinflussen sie mit ihren Fördermitteln die Forschungsagenda? Wie eigenständig können und sollen Universitäten Forschung planen, und welchen Einfluss hat die Wirtschaft?

Ein besonderer Fokus lag auf dem Potenzial, das sich aus der Internationalisierung der Forschungsverbände ergibt: „Wir unterschätzen noch immer, wie sehr die Forschung außerhalb der Vereinigten Staaten, Japans und Europas in Zukunft die Welt der Wissenschaft mitprägen wird“, sagt Dreher.

Vorteil für US-amerikanische Privat-Universitäten

Als Vertreter der Europäischen Kommission diskutierten zunächst Stefaan Hermans, Referatsleiter in der Generaldirektion für Forschung und Innovation, mit Gästen aus Politik und Forschung. Anschließend tauschten sich Obama-Berater Arthur Bienenstock, Xionan Cao von der Weltbank, Rongping Mu von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und Forscher aus Indien, Brasilien und Singapur über ihre Strategien aus, den Forderungen aus der Politik an die Forschung zu begegnen. Dabei verwies Stefaan Hermans darauf, dass der Beschluss der EU-Kommission nicht in dieser Ausschließlichkeit zu interpretieren sei, sondern dass durchaus auch eine Rolle der Universitäten in der Forschung vorgesehen sei. Arthur Bienenstock sieht im absoluten Forschungsbezug der privaten US-amerikanischen Universitäten einen Vorteil.

Weltweit schwelendes Thema

„Gerade dieses Podium hat gezeigt, wie wichtig der interkulturelle Austausch für die Forschung ist“, sagt Carsten Dreher. „Viele Teilnehmer haben den Wunsch geäußert, die Debatte um die Forschungsplanung fortzuführen.“ Die Tagung in Dahlem soll deshalb nur Auftakt gewesen sein: „Wir haben den Titel der Tagung bewusst als Frage formuliert“, sagt Carsten Dreher. „Am Ende der Veranstaltung mussten wir allerdings – wie so häufig in der Forschung – feststellen: Aus dem einen großen Fragezeichen sind im Laufe der drei Tage viele kleinere Fragezeichen geworden. Das zeigt uns, dass wir offenbar ein Thema aufgegriffen haben, das die Forschenden weltweit beschäftigt.“

 

von Matthias Thiele

 

Interview zum Thema

William Omar Contreras Lopez forscht als Neurochirurg an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Der junge Mediziner war einer von 155 Teilnehmern der Tagung "Planning Research for the Future?". Mit ihm sprach Juliane Bartsch über die Forschungsfreiheit von Nachwuchswissenschaftlern.

Herr Dr. Lopez, wie steht es aus Ihrer Sicht um die Forschungsfreiheit für junge Wissenschaftler?

Als Student oder junger Forscher ist man zunächst von den Experimenten abhängig, die im eigenen Forschungsumfeld laufen. Wenn man nach dem Abschluss oder der Promotion aber weiterforscht und eigene wissenschaftliche Ideen entwickelt, hat man größere Freiheit, sich tiefer in ein Forschungsfeld einzuarbeiten.  Ich bin nach Freiburg gewechselt, weil es dort einen Schwerpunkt zur Stereotaxie gibt. Das ist ein minimalinvasives neurochirurgisches Operationsverfahren, bei dem die zu operierende Stelle nicht gleich freigelegt wird, sondern zuvor mithilfe von dreidimensional-geometrischen Verfahren berechnet wird. Über dieses Thema bin ich zur Transplantation von Neuronen gekommen. Dazu kann ich in Freiburg frei forschen – aber auch nur, weil ich mir das passende Team und den passenden Ort aussuchen konnte. Für ein anderes Thema wäre Freiburg nicht der richtige Forschungsort gewesen.

Welche Rolle spielt die Pharmaindustrie im Hinblick auf Forschungsfreiheit?

Die Pharmaindustrie ist eine große wirtschaftliche Macht. Ungefähr 60 Prozent des Gesamtumsatzes im medizinischen Bereich wird von der Pharmaindustrie verdient, 30 Prozent gehen an Hersteller-Unternehmen von Medizintechnologie, und nur zehn Prozent des Umsatzes, der in der Medizin gemacht wird, wird in der medizinischen Forschung oder der klinischen Praxis geschaffen. Die Pharmaindustrie hat also großen Einfluss auf medizinische Forschungsthemen. Nehmen Sie zum Beispiel die Tuberkulose – eine Krankheit, die gegenwärtig wieder stark zunimmt. Noch vor zehn Jahren galt Tuberkulose als kontrolliert. Damals bekamen die Erkrankten vier Medikamente als Therapie – Medikamente, die inzwischen teilweise nicht mehr hergestellt werden, weil sie nicht profitabel genug sind. Heute steht nur noch ein Medikament zur Verfügung, mit der Folge, dass sich Tuberkulose erneut rasant ausbreitet. Die Betonung im Begriff Pharmaindustrie liegt auf Industrie, ihr Hauptanliegen ist es, Profit zu machen. Das ist ausgesprochen gefährlich, weil wir dadurch die Kontrolle über Krankheiten verlieren, die wir längst eingedämmt glaubten.

Was bedeutet das für die Forschungsarbeit?

Forschung kostet Geld. Geld, das von Stiftungen kommt, vom Staat, in großem Umfang aber eben auch von der Pharmaindustrie. Derzeit beobachten wir ein starkes Interesse an der Erforschung von Krankheiten wie Parkinson, die einen nicht so großen Bevölkerungsteil der Welt betreffen. Gleichzeitig gibt es etwa kaum noch Forschung zu Malaria. An Malaria sterben aber zwei Millionen Menschen pro Jahr. Die Bekämpfung von Malaria allerdings scheint nicht profitabel genug.  Wer sichergehen will, dass das eigene Forschungsprojekt finanziert wird, sollte strategisch denken und sich ein Thema aussuchen, das auch für die Pharmaindustrie interessant ist.

Welche Rolle spielen Konferenzen, wie die gerade an der Freien Universität Berlin abgehaltene, für junge Forscher in Bezug auf die Zukunft wissenschaftlicher Forschung?

Das Programm unterscheidet sich stark von dem anderer Tagungen. Hier geht es darum, Wissenschaftler und Unternehmer zusammenzubringen und einen Ideenaustausch zu ermöglichen. Ich halte diese Konferenz für sehr wichtig, denn die Zukunft der Wissenschaft liegt in der Zusammenarbeit. Außerdem lassen sich bei solchen Tagungen wichtige Fragen zum Selbstverständnis von Forschung ansprechen. Beispielsweise dazu, mit welchem Ziel man forscht, an welcher Stelle Forschungsgelder sinnvoll investiert werden sollten, um möglichst vielen Menschen zu helfen.