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Ruandas Erbe

Esther Denzinger promoviert im Fach Ethnologie an der Freien Universität und untersucht die traumatischen Folgen des Genozids bei ruandischen Frauen

15.09.2009

Frauen der Täter und der Opfer des Genozids begegnen sich und lernen mit den Folgen der Gewalt besser umzugehen

Frauen der Täter und der Opfer des Genozids begegnen sich und lernen mit den Folgen der Gewalt besser umzugehen
Bildquelle: Esther Denzinger

Tür an Tür leben in Ruanda heute Frauen der Hutu und der Tutsi. Die einen haben ihren Mann durch die Hand des Ehemannes der anderen verloren. In nur 100 Tagen fielen Hunderttausende dem Völkermord zum Opfer. Noch immer hinterlässt der Genozid von 1994 seine Spuren.

Vor 15 Jahren begehrten Hutu gegen Tutsi auf. Ein Bürgerkrieg entbrannte, der auch zu einem Feldzug gegen die Frauen Ruandas wurde. Welche Folgen hat dieser Krieg bis heute, und wie kann man die Wunden heilen? Antworten will Esther Denzinger, die Ethnologie und Philosophie an der Freien Universität studierte, in ihrer Dissertation finden. „Einerseits herrscht in Ruanda viel Leid – und andererseits eine große Kraft“, sagt sie. Die Doktorandin schreibt über die Verarbeitung von Gewalt nach dem Genozid. „Erinnern, Vergessen, Verarbeiten: Überlebensperspektiven und Transformationsprozesse in Ruanda nach 1994“, so lautet ihr Arbeitstitel.

Zwischen Schuld und Leid

„Mich interessiert besonders, wie die ruandischen Frauen trotz unterschiedlicher Erinnerungsperspektiven – zwischen Schuld und Leid – Übereinkunft finden, die ein Miteinander möglich macht“, sagt Esther Denzinger. Sie untersucht, wie die Frauen ihre Erlebnisse beschreiben und bewerten. „Ich möchte die Spannungen zwischen individuellem und kollektivem Erinnern nachvollziehen und sehen, was dies für die Transformationsprozesse in Ruanda bedeutet.“

Einblicke in die Erinnerungsarbeit

Deshalb besucht Esther Denzinger afrikanische Frauenkooperativen. Dort finden Frauen der Täter und Opfer nicht nur einen gemeinsamen Platz zur Vergangenheitsbewältigung – sie erhalten auch lebenspraktische Ratschläge. „Durch teilnehmende Beobachtung und biographische Interviews möchte ich Einblicke in die Lebenssituation und Erinnerungsarbeit dieser Frauen erhalten. Ich möchte sehen, welche Traumabewältigung funktioniert und wo sie an ihre Grenzen stößt“. Außerdem müsse der „Trauma-Begriff“ an sich kritisch überprüft werden. In einigen Wochen wird Esther Denzinger erneut nach Afrika fliegen und sich in Ruanda auf die Suche nach neuen Wegen und Strategien der Gewaltverarbeitung begeben. Die Aufarbeitung der Vergangenheit sei dringend notwendig, sagt sie, um nicht zur Gewalt zurückzukehren und um Zukunftsperspektiven entwickeln zu können.