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Die Freie Universität legt den Schalter um

In der vergangenen Woche war der Campus Dahlem eine Stunde lang ohne Strom / Eine campus.leben-Reportage über die geplante Netzspannungsumstellung

06.10.2016

Am Schaltschrank: Ulrich Mitschke, Bauleiter Stromversorgung Zentralwarte.

Am Schaltschrank: Ulrich Mitschke, Bauleiter Stromversorgung Zentralwarte.
Bildquelle: Laura Gohr

Vor den Mittelspannungsschaltanlagen: Kanzlerin Dr. Andrea Bör mit Martin Mende (l.), Uwe Meising und Ulrich Mitschke.

Vor den Mittelspannungsschaltanlagen: Kanzlerin Dr. Andrea Bör mit Martin Mende (l.), Uwe Meising und Ulrich Mitschke.
Bildquelle: Lara Gohr

Mitarbeiter der ZEDAT bereiten einen Hauptverteiler des Datennetzes in der Silberlaube auf die Versorgung durch ein Notstromaggregat vor. Von links nach rechts: Harald Scheelken, Marc-Vincent Schremmer, Michael Mundry.

Mitarbeiter der ZEDAT bereiten einen Hauptverteiler des Datennetzes in der Silberlaube auf die Versorgung durch ein Notstromaggregat vor. Von links nach rechts: Harald Scheelken, Marc-Vincent Schremmer, Michael Mundry.
Bildquelle: Lara Gohr

Für den Überblick: Die Einsatzzelte auf dem Parkplatz neben der Rostlaube.

Für den Überblick: Die Einsatzzelte auf dem Parkplatz neben der Rostlaube.
Bildquelle: Lara Gohr

Kontrollierte die Rost- und Silberlaube: Andrea Gasner vom Wachschutz.

Kontrollierte die Rost- und Silberlaube: Andrea Gasner vom Wachschutz.
Bildquelle: Lara Gohr

Biochemie-Doktorand Tom Haltenhof (2. v. l.) bewacht mit Kommilitonen und seinem Doktorvater Professor Dr. Florian Heyd (ganz rechts) ein Notstromaggregat (roter Kasten im Hintergrund).

Biochemie-Doktorand Tom Haltenhof (2. v. l.) bewacht mit Kommilitonen und seinem Doktorvater Professor Dr. Florian Heyd (ganz rechts) ein Notstromaggregat (roter Kasten im Hintergrund).
Bildquelle: Lara Gohr

In der Zentralwarte bei der Umschaltung mittels der Netzleittechnik (v. l. n. r.) Herr Sohn, Herr Nasdall, Herr Mitschke, Herr Schreiber.

In der Zentralwarte bei der Umschaltung mittels der Netzleittechnik (v. l. n. r.) Herr Sohn, Herr Nasdall, Herr Mitschke, Herr Schreiber.
Bildquelle: Lara Gohr

Hat ausgedient: Teil eines ehemaligen Einspeisekabels 6 kV.

Hat ausgedient: Teil eines ehemaligen Einspeisekabels 6 kV.
Bildquelle: Lara Gohr

Funktioniert auch ohne Strom: Würstchengrill.

Funktioniert auch ohne Strom: Würstchengrill.
Bildquelle: Lara Gohr

Ob Computer, Kaffeemaschine, Sicherheitssystem oder Lüftung – vieles funktioniert elektrisch. So versorgt das Mittelspannungsnetz der Freien Universität über sechs Mittelspannungsringe mehr als 90 Häuser mit Hörsälen, Büros und Laboren auf dem Campus Dahlem. In der Nacht vom vergangenen Donnerstag auf Freitag musste die Stromversorgung der Universität für eine Stunde heruntergefahren werden. Der Grund: Eine Umstellung der Einspeisespannung von 30 auf 10 Kilovolt, die nötig geworden war, um die Freie Universität an das modernisierte Stromnetz des Berliner Energieversorgers anzuschließen. Was es bedeutet, wenn auf dem Campus einer Universität für nur eine Stunde der Strom nicht fließt, wurde in dieser Nacht klar, auf die sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Technischen Abteilung fast ein Jahr lang vorbereitet hatten. Eine Reportage von Campus.leben-Reporterin Lara Gohr, die bei der Stromabschaltung dabei war.

17 Uhr. Der Grill wird angefeuert auf dem Parkplatz neben der Rostlaube, die ersten Besucher trudeln ein: moralische Unterstützer, Techniker und Security. Seit gestern stehen hier zwei Zelte mit Tischen, Bänken und Verpflegung für die lange Nacht.

18 Uhr. Die Zentralwarte ist die Schaltzentrale. Sie sieht aus wie das Cockpit eines Raumschiffes. An der Wand blinken Stromkreise aus grünen Lämpchen, auf den Monitoren Schaltkreise mit kryptischen Symbolen. Hier sitzt Ulrich Mitschke. Der Ingenieur ist in der Technischen Abteilung für die Elektrotechnik und die Stromversorgung in der Zentralwarte zuständig. „Gerade läuft noch ein Transformator auf 30.000 Volt und versorgt die Universität“, erklärt er. „Den schalten wir um 22 Uhr ab und stattdessen die neuen Transformatoren ein. Sie wandeln dann nur noch 10.000 Volt auf 6.000 Volt um.“

Mitschke bekommt einen Anruf von seinen Chefs: Uwe Meising leitet die Technische Abteilung, Sebastian Block das dazugehörige Referat Technische Gebäudeausrüstung und Betriebstechnik und Martin Mende die Gruppe der Betriebstechnik. Sie warten vor dem 1,5 Millionen Euro teuren neuen Trafohäuschen, das auf dem Parkplatz neben der Rostlaube eigens für die neue Stromversorgung errichtet werden musste, zu einer aktuellen Lagebesprechung. „Seit der Gründung der Freien Universität gab es aus technischer Sicht nichts, was für so viel Aufruhr gesorgt hat wie die Aktion heute Nacht“, sagt Uwe Meising. „Aber als einzige Institution des Landes am alten Netz mit 30 Kilovolt zu bleiben, war für uns nicht mehr möglich. Alle anderen haben längst auf die geringere Spannungsebene umgestellt.“

19 Uhr. Andrea Gasner vom Wachschutz läuft seit einer Stunde durch die Flure der Rost- und Silberlaube an der Habelschwerdter Allee 45. Sie und ihre 29 Kollegen sind heute im Sondereinsatz. Alle Mitarbeiter sollten bis 18 Uhr die Gebäude verlassen haben. „Ich kontrolliere die Büros, schalte die Lichter aus und schließe alles ab“, sagt Andrea Gasner. Ihre Schritte hallen in den dunklen Gängen, nur die Notausgangsschilder leuchten grün und schwach.

20 Uhr. Jens Hildebrandt sitzt im Einsatzzelt auf dem Parkplatz neben der Rostlaube und verfolgt die Streifzüge des Wachschutzes per Walkie Talkie. Er ist in der Technischen Abteilung für die Hausinspektion der Habelschwerdter Allee 45 und des Henry-Ford-Baus zuständig. Jetzt hakt er die schon kontrollierten Häuser auf einer Liste ab und trägt diese als geräumt ein. „Ohne Strom sind die Gebäude nicht sicher. Aufzüge und elektrische Schranken sind abgeschaltet. Wenn jemand stecken bleiben würde, könnten wir mit der Person in der Aufzugskabine nicht kommunizieren“, sagt er. Auch die großen Lüftungs- und Kühlanlagen funktionieren nicht. Hildebrandt nimmt einen Anruf entgegen und kann das neunzigste Häkchen auf seine Klemmbrettliste setzen: Das letzte Haus ist kontrolliert und menschenleer.

21 Uhr. Die Mitarbeiter der ZEDAT (Zentraleinrichtung für Datenverarbeitung) Michael Mundry, Harald Scheelken und Marc Schremmer werfen in einem Kellerraum eines von mehreren Notstromaggregaten an, die an der ganzen Uni verteilt wurden. Sie stellen sicher, dass die Telefone in der Zentralwarte funktionieren, falls etwas schief geht.

22 Uhr. Es geht los: Die Elektriker in der Zentralwarte sitzen angespannt vor den Bildschirmen, Mausklicken, nervöse Blicke. Der erste Versorgungsring ist vom Netz. Man hört, wie die riesigen Sechstausend-Volt-Schalter in der Schaltanlage knallend ausrasten. Sechs Ringe werden nacheinander abgeschaltet, dann ist die Stromzufuhr auf dem Campus komplett gekappt. Jetzt nehmen die Elektriker die neuen Trafos in Betrieb und die Ringe einzeln dazu. Auf einmal steht Kanzlerin Andrea Bör in der Tür. „Ich komme vorbei, um mich zu vergewissern, dass das Licht auch wieder angeht“, lacht die promovierte Ingenieurin.

23 Uhr. Der Fachbereich Biologie, Chemie und Pharmazie hat drei Notstromaggregate organisiert, die die Temperatur in den Kühl- und Klimaschränken halten. In den Laboren dort lagert eine Vielzahl einzigartiger biologischer und chemischer Proben und Reagenzien. „Die Proben sind äußerst empfindlich und wurden über Jahre gezüchtet oder hergestellt", erzählt Philipp Hultsch, Referent in der Fachbereichsverwaltung. „Ganze Doktorarbeiten hängen daran.“ Er wendet die Würstchen auf dem Grill. Eines der Aggregate bewacht deshalb Doktorand Tom Haltenhof; seine Kolleginnen und Kollegen sowie sein Doktorvater Professor Florian Heyd zeigen sich solidarisch: Sie sitzen seit 17 Uhr vor der Takustraße 6, spielen Karten, essen Chips und warten auf die Entwarnung. Die kommt, als Verwaltungsleiterin Helga Andree der Gruppe einen Besuch abstattet. Die promovierte Agraringenieurin bekommt einen Anruf aus der Zentrale: Alle Stromkreise sind am Netz.

24 Uhr. Erleichterung in den Versorgungszelten: Alles lief nach Plan. Bis zum Morgen werden die Betriebstechniker noch den gesamten Campus begehen und zentrale Anlagen wieder anschalten. Als der Campus am nächsten Morgen erwacht, und die Beschäftigten, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Arbeit aufnehmen, sind auch die letzten Störungen erfolgreich behoben worden.