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Was Sie schon immer im Advent wissen wollten…

… beantworten Wissenschaftler in einer Serie / Heute: Anthropologe Professor Christoph Wulf über Weihnachtsrituale und die Vorzüge des Immergleichen

14.12.2014

Was am Heiligen Abend auf dem Teller liegt, ist in vielen Familien festgelegt. Rituale wie das traditionelle Weihnachtsessen stärkten den Zusammenhalt, sagt Kulturanthropologe Prof. Dr. Christoph Wulf. Auch in seiner Familie gibt es Karpfen.

Was am Heiligen Abend auf dem Teller liegt, ist in vielen Familien festgelegt. Rituale wie das traditionelle Weihnachtsessen stärkten den Zusammenhalt, sagt Kulturanthropologe Prof. Dr. Christoph Wulf. Auch in seiner Familie gibt es Karpfen.
Bildquelle: Fotolia / Freie Universität Berlin

Christoph Wulf hat Weihnachtsrituale wissenschaftlich untersucht. Auch privat pflegt der Anthropologe und Erziehungswissenschaftler kleine Rituale.

Christoph Wulf hat Weihnachtsrituale wissenschaftlich untersucht. Auch privat pflegt der Anthropologe und Erziehungswissenschaftler kleine Rituale.
Bildquelle: Jan Hambura

Plätzchenbacken, Liedersingen, Festessen und schließlich die Bescherung unter dem Christbaum – die Weihnachtszeit steckt voller Rituale. Warum der Mensch Rituale braucht und wie „the same procedure as every year“ das soziale Miteinander festigt, erklärt Christoph Wulf, Professor für Anthropologie und Erziehungswissenschaft an der Freien Universität. Er ist außerdem Vizepräsident der Deutschen UNESCO-Kommission zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes, die heute bekanntgegeben hat, dass 27 deutsche Traditionen und Wissensformen in das Verzeichnis der UNESCO aufgenommen worden sind (siehe unten).

Herr Professor Wulf, warum spielen Traditionen, Bräuche und Rituale gerade in der Weihnachtszeit eine so große Rolle?

Weihnachten ist in unserer Kultur das große Familienfest. Im Zentrum steht die Sehnsucht nach Glück: Wir möchten, dass sich alle wohlfühlen. Rituale, also wiederkehrende Handlungen, helfen uns dabei. Sie stärken die Zusammengehörigkeit und das Gemeinschaftsgefühl. Durch gemeinsame Praktiken, das Schaffen und Teilen gemeinsamer Erinnerungen kommen sich Familienmitgliedern näher.

Sie haben Weihnachtsrituale wissenschaftlich untersucht. Welche Rituale gehören dazu?

Mit Weihnachten verbinden sich fünf allgemeine Dimensionen von Ritualen, die man so auch in anderen Kulturen findet. Durch das gemeinsame Singen oder den Kirchgang hat Weihnachten zunächst eine religiöse Komponente. Das gemeinsame Essen, als zweite Dimension, ist ein besonders wichtiges Weihnachtsritual. Dabei ist es egal, was auf den Tisch kommt. Entscheidend ist, dass man gemeinsam isst und dass alle am Tisch das Gleiche schmecken. Der Austausch von Geschenken und das Zelebrieren der Familie, wenn beispielsweise alte Familiengeschichten erzählt werden, sind weitere Komponenten. Und letztlich ist es die unverplante Zeit, die uns zu Weihnachten einen Moment innehalten lässt. In allen diesen Belangen verläuft Weihnachten bei vielen Familien sehr ähnlich. Und auch, wer keiner Religion angehört, wird bei Feierlichkeiten auf ähnliche Rituale zurückgreifen: Man isst gut, unterhält sich, wird vielleicht Geschenke austauschen und sich mit einem Glas Rotwein zurückziehen – auch das kann ein Moment der Besinnung sein.

Jedes Jahr Kartoffelsalat zu Weihnachten und im Radio „Last Christmas“ in der Dauerschleife – warum fällt es uns so schwer, mit Ritualen zu brechen?

Die Frage ist, ob wir denn mit Ritualen brechen müssen? Wir Menschen sind soziale Wesen, deren Zusammenleben auch von den Ritualen bestimmt wird, die wir inszenieren und aufführen. Wenn Sie zu Weihnachten mit anderen Familienmitgliedern immer das gleiche Gericht essen oder die gleiche Musik hören, bringt Sie das in einen Gleichklang miteinander. Solche Rituale geben uns Halt und lassen uns die Dinge intensiver erleben.

Wie feiern Sie Weihnachten?

Weihnachten ist in meiner Familie ein traditionelles Fest. Wir haben auch kleine Rituale, etwa, dass es in jedem Jahr Karpfen gibt oder dass mit einem Glöckchen zur Bescherung geläutet wird. Ich habe zwei erwachsene Kinder. Diese Rituale sind auch Elemente ihrer Kindheit – und die haben wir bewusst beibehalten.

Weitere Informationen

Bundesweites Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes

Am heutigen Freitag ist bekanntgegeben worden, dass 27 deutsche Traditionen und Wissensformen in das Verzeichnis der UNESCO aufgenommen wurden. Professor Christoph Wulf ist Vorsitzender des Auswahlgremiums der Deutschen UNESCO-Kommission und Vorsitzender des Expertenkomitees. Hier lesen Sie ein Interview mit ihm über die heute veröffentlichte Liste der Neuaufnahmen. 


Adventsserie

Im letzten Teil unserer Serie lesen Sie am Freitag, 19. Dezember, ein Interview mit der Meteorologin Petra Gebauer. Im ersten Teil der Serie sprach campus.leben mit der Psychologin Bettina Hannover unter anderem über den Einfluss von Spielzeug auf Geschlecherrollen. Der Theologe Rainer Kampling erinnerte im zweiten Teil der Serie an die Ursprünge des christlichen Advents und des jüdischen Lichterfests Chanukka.