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Schulhofterror, online

Wie kann verbaler Gewalt und Psychoterror im Internet begegnet werden? Welche Rolle spielt die Entwicklung moralischer Gefühle in der Präventionspraxis?

22.03.2010

Cybermobbing: Schul-Mobber nutzen das Internet, wo die Demütigungen die ganze Welt sehen kann.

Cybermobbing: Schul-Mobber nutzen das Internet, wo die Demütigungen die ganze Welt sehen kann.
Bildquelle: doxx /photocase

Mobbing macht vielen Kindern die Schule zur Hölle. Hänseleien beschränken sich heute nicht mehr nur auf den Unterricht, die große Pause oder den Schulweg. Über das Internet werden sie von ihren Mitschülern auch zu Hause gedemütigt. Man spricht von Cybermobbing. Die Psychologin Anja Schultze-Krumbholz von der Freien Universität erforscht das Phänomen.

„Martin ich wollte dir noch sagen ich u. felix halten dich für doof, dum, dick, fettttttttt dick dicker am dicksten.“ Beleidigungen wie diese gehören für viele Schüler in Deutschland zum Alltag. Gut lesbar für alle stehen sie im Internet. Soziale Netzwerke wie SchülerVZ, Wer-Kennt-Wen, Schüler-CC oder den Lokalisten werden von Schülern immer häufiger genutzt, um Mitschüler mit öffentlich lesbaren Kommentaren zu beleidigen und sie bloßzustellen.

Fand Mobbing unter Kindern und Jugendlichen lange nur in der Schule selbst und in ihrem Umfeld statt, so nutzen Schul-Mobber heute die neuen Kommunikationsmedien als Fläche zum Angriff auf vermeintlich Schwächere. Gerüchte werden nicht mehr auf einen Zettel geschmiert und von Bank zu Bank durchgereicht, sondern per Handy verschickt; peinliche Fotos hängen nicht mehr an der Tafel, sondern kursieren im Internet. Dort, wo die ganze Welt sie sehen kann.

Die Psychologin Anja Schultze-Krumbholz  beschäftigt sich im Rahmen ihrer Promotion mit dieser relativ neuen Form von Aggressivität unter Schülern. Die Mitarbeiterin des Arbeitsbereichs Entwicklungswissenschaft und Angewandte Entwicklungspsychologie der Freien Universität Berlin befragte für ihre Studie Schüler und Schülerinnen zwischen zwölf und 15 Jahren an verschiedenen Bremer und Berliner Schulen zu ihren Erfahrungen mit Cybermobbing.  „Etwa jeder fünfte Jugendliche hatte regelmäßig mit Cybermobbing zu tun“, erklärt Schultze-Krumbholz.

„Das ist eine relativ hohe Zahl, sie deckt sich aber – mit den Ergebnissen internationaler Studien.“  Umfragen zufolge nutzen mittlerweile 97 Prozent aller Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren das Internet. Soziale Netzwerke sind besonders unter Kindern und Jugendlichen beliebt. Mehr als 70 Prozent haben in einem der Netzwerke ein eigenes Profil; 5,5 Millionen Schüler allein beim größten Anbieter Schüler VZ.

Das bewusste Schikanieren und Demütigen eines Mitschülers mithilfe der neuen Medien folgt eigenen Mechanismen: An die digitalen Pinnwände der Opfer werden immer neue Gemeinheiten geschrieben, Videos tauchen im Netz auf, oder die E-Mail-Adressen werden mit Droh- und Schimpfbotschaften eingedeckt. Oder die Opfer werden von Diskussionen ausgeschlossen – in dem man ihre schriftlichen Beiträge in Foren einfach ignoriert oder spezielle Gruppen eigens für die digitale Lästerei gründet. Zu diesen Gruppen hat das Opfer zwar keinen Zugang. Doch die Titel der Gruppen machen aus ihrem Zweck kein Geheimnis: „Alle die finden dass jenny f. fett ist und stinkt hier rein“.

Obwohl beim Mobbing im Cybernet nicht die Fäuste fliegen, sind auch diese Hänseleien nicht nur virtuell verletzend. 2009 nahmen sich zwei Teenager in England das Leben, nachdem sie im Internet massiv gemobbt worden waren. „Wenn Eltern zu betroffenen Kindern sagen `Schalte den Computer eben nicht ein, dann musst Du das auch nicht lesen’, ist das keine Hilfe“, erklärt Schultze-Krumbholz: Kinder trennten nicht zwischen sozialen Kontakten im echten Leben und im Internet.

Die Wissenschaftlerin ging in ihrer Untersuchung auch der Frage nach, ob Cybermobbing ein neues Phänomen ist oder nur die Fortsetzung der Schulhofkämpfe mit anderen Mitteln. Beleidigungen unter Schülern sind schließlich nichts grundsätzlich Neues. Sie versuchte deshalb herauszufinden, ob die Täter bei Schul-Mobbing auch die Täter des Cybermobbings sind und ob schulische Opferschemata in der Virtualität des Internets fortbestehen.

„Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass viele Schüler, die in der Schule in Mobbing involviert sind, auch im Internet damit zu tun haben –als Täter wie Opfer.“ Es gebe Schul-Mobber, die im Internet einfach weitermobben und Kinder, die in der Schule bereits belästigt werden und auch im Internet Zielscheibe für aggressive Angriffe blieben. Immerhin 10 Prozent der Befragten seien zwar in der Schule nicht auffällig, dafür jedoch im Internet in irgendeiner Art an Cybermobbing beteiligt. „Es scheint, als zögen solche Kinder aus der Anonymität des Internets Vorteile und Dinge täten und sagten, die sie sich im echten Leben nicht trauen würden“, sagt die Psychologin.

Bei den Opfern führe die vermeintliche Anonymität zu einer Offenheit, die ihnen später zum Verhängnis werden kann. „Diese Gruppe zeigt ein ganz anderes Risikoverhalten im Internet als im direkten Umgang mit Mitschülern. In Chatrooms zum Beispiel oder in Foren geben sie viel von sich preis und werden dadurch viel leichter angreifbar.“ Hier seien vor allem die Eltern gefragt – doch zwischen der Generation der Eltern und der der Kinder klafft im Umgang mit dem Internet eine gewaltige Kluft: Während Kinder zu den „Digital Natives“, den Eingeborenen des Informationszeitalters gehören, sind die meisten Personen über 30 Jahre sogenannte „Digitale Immigranten“. Kinder wachsen heute mit den Kommunikationsmedien des digitalen Zeitalters auf. Erwachsene dagegen tun sich oft schwer.

„Eigentlich müssten Eltern ihre Kinder vor den Gefahren stärker warnen. Beim Straßenverkehr ist das ähnlich, das müssen Kinder und Jugendliche ja auch erst von den Eltern lernen“, erklärt Schultze-Krumbholz. Der Unterschied zwischen Zebrastreifen und Cyberspace: Im Netz wüssten die Eltern selbst oft nicht, was für Kinder gefährlich sei. Dass mit der Studie Neuland bei der Erforschung der Mechanismen von Cyberbullying – dem Tyrannisieren mithilfe des Internets – in Deutschland betreten wurde, hält Schultze-Krumbholz für symptomatisch. „Dass das Problem auch in Deutschland existiert, konnten wir belegen. Doch das Problembewusstsein ist noch nicht sehr ausgeprägt“, sagt sie.

In Großbritannien gebe es schon lange Studien und Initiativen, um Kinder effektiv davor zu schützen, tyrannisiert zu werden – ob auf dem Schulhof oder im Internet. In Großbritannien würden Forschungsvorhaben auch durch Mobilfunk-Anbieter und Internet-Provider finanziell unterstützt. „In Deutschland ist es etwas schwieriger“, sagt Schultze-Krumbholz. Da sie  ein gesellschaftlich Problem angeht und ihre Studie über das Internetinternational Beachtung findt, darf die Forscherin optimistisch sein: Für die nächsten Schritte ihrer Arbeit wird sie finanziell durch die Europäische Kommission unterstützt.

Weitere Informationen

Dipl.-Psych. Anja Schultze-Krumbholz
Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie
Arbeitsbereich Entwicklungswissenschaft und Angewandte Entwicklungspsychologie
Tel.: +49 (0)30 838-551 48
E-Mail: anja.schultze-krumbholz@fu-berlin.de